Wir haben im Juni 2025 unser eigenes Hausprojekt in der Robert-Matzke-Str. 16 in Dresden besetzt. Marek Winter nahm dies in der Jungle World Ausgabe 2025/33 zum Anlass, um nach den Zielen, Potentialen, aber auch Grenzen kollektiven Wohnens zu fragen. Wir fanden diese Anregung wichtig und haben sie als Ausgangspunkt genutzt, um unsere eigene Situation erneut zu reflektieren.
Die Besetzung des Projektes war letztendlich auch eine Intervention von außen. Menschen aus der Dresdner linken Szene sahen die Notwendigkeit, Verantwortung für das Projekt zu übernehmen, denn das Haus war schon lange kein öffentlicher Ort mehr in der Stadt und es drohte erneut der Auszug des Großteils der Hausgruppe. Damit steht das Projekt nicht alleine da. Viele Hausprojekte stehen teilweise halbleer, weil sich unter den gegebenen Bedingungen keine*r vorstellen kann einzuziehen. Im Mietshäusersyndikat, mit dessen Hilfe auch unser Projekt gekauft wurde, ist Scheitern das aktuelle Thema. Jahrelange Konflikte und festgefahrenen Strukturen verhindern oft die Erneuerung und Weiterentwicklung von Projekten. Auch ihre Öffentlichkeitswirksamkeit, insbesondere die gemeinsame Gestaltung öffentlicher Veranstaltungen für Stadtteil oder Szene und das Angebot öffentlich nutzbarer Frei- und Rückzugsräume bleiben auf der Strecke. Wenn das Haus nebenbei noch finanziert, saniert und verwaltet werden muss, verstärkt das die problematischen Dynamiken zusätzlich.
Soziale und politische Konflikte werden mit Hilfe „linker“ Anwält*innen und der Macht des Staates entschieden!
Fluktuation in einem Projekt muss nicht zwangsläufig ein Problem sein. Häuser kommen allerdings an ihre Grenzen, wenn dadurch Hierarchien entstehen und Einzelne über Jahre Machtpositionen ausbauen. Langjährige Bewohnende kennen die Strukturen im Haus sehr genau und häufen viel Wissen, Kontakte und Fähigkeiten an. Wissenstransfer und gemeinsames Lernen bedürfen transparenter Strukturen und Offenheit gegenüber Neuem – und eine Grundhaltung, dass kollektive Räume von Anfang an nur entstehen können, weil sie gemeinschaftlich gewollt, getragen und gestaltet werden. Die Realisierung von Freiräumen bedeutet eben im Kern, dass an diesen Orten unetablierten Ideen und Lebensentwürfen rücksichtsvoll und wertschätzend Raum gegeben werden kann. Wenn dies nicht vorhanden ist, können sich nur noch Leute in die Hausgruppe integrieren, die sich anpassen und keine Kritik äußern. Dann wird Verantwortung nicht geteilt, Wissen nicht weitergegeben, Menschen können nicht mitgestalten und Hierarchien verfestigen sich. Es gibt kein Vertrauen in neue Leute, stattdessen wird dies durch Kontrolle kompensiert. Kritische Perspektiven oder einfach auch Wünsche nach Veränderung haben keinen Raum, da sie gewachsene Positionen eventuell in Frage stellen. Dies findet nicht immer bewusst statt, kann aber auch dazu führen, dass ungewünschte Mitbewohnende gegeneinander ausgespielt oder sogar manipuliert werden. Die Liste an problematischem Verhalten in solchen Projekten liese sich leider lange fortsetzten.
Wenn, wie bereits von Marek Winter beschrieben, sich diese Hausstrukturen formalisieren in Vereinen und GmbHs, werden diese Machtpositionen im schlimmsten Fall durch Vorstandsposten verstärkt.
Wenn es keine Aushandlungsfähigkeit mehr gibt gegenüber Kritik an problematischem Verhalten, sozialen Dynamiken oder politischen Debatten, kann es in der letzten Konsequenz auch zum Rechtsstreit kommen. Dann gibt es eben keine politische Debatte mehr, sondern es werden juristische Mittel eingesetzt, um Machtpositionen durchzusetzen bzw.“Eigentum“ zu verteidigen.
Dann gibt es eine Situation, in der Kritik an gewaltvollem, manipulativen und grenzüberschreitendes Verhalten nicht mehr in der Diskussion gelöst wird. Kritik wird aufgrund fehlender Feedback- und Konfliktkultur mit Hilfe sogenannter linker Anwält*innen mittels staatlicher Institutionen abgewehrt und Machtpositionen manifestiert. Das ist auf verschiedenen Ebenen völlig inakzeptabel. Interessen mit Hilfe des Staates durchzusetzen hat nichts mit linken antiautoritären Grundsätzen zu tun. Gerichtliche Auseinandersetzungen legen Namen und Strukturen offen und bieten noch mehr Angriffspunkte für Repression. Im Rahmen der Auseinandersetzungen um das Hausprojekt RM16 wurden bereits vier „linke Anwält*innen“ bemüht. Diese stellten eine gerichtliche Aus-/Ver-handlung des sozialen/Gruppen-Konfliktes nicht grundsätzlich in Frage. Ein Anwalt positionierte sich in seinem Schreiben nicht nur juristisch, sondern auch politisch.
Diese Ebene der „Auseinandersetzung“ legt offen, dass die Linke nach wie vor keine ausreichenden Strukturen und Handlungsoptionen hat, mit sozialen Konflikten und übergriffigem Verhalten umzugehen. Awarenesskonzepte sind zwar da, aber auch immer wieder in der Kritik. Linke Strukturen hadern aufgrund des grundsätzlichen Dilemmas von Freiheitsermöglichung und Freiheitssicherung damit Freiräume durch Regelungen und Ausschlüsse zu sichern und wirksame Konzepte zu implementieren. Nicht zuletzt braucht es auch immer den Willen aller, diese Ideen in unseren Strukturen zu verankern, und nicht nur den von Betroffen oder zum Thema sensible Menschen.
Schöner wohnen statt radikale Gesellschaftsveränderung?
Die Entpolitisierung von Hausprojekten hat unterschiedliche Gründe. Nach den aufregenden Jahren der Besetzung oder Neugründung von Projekten, welche viele Leute eher in jungen Jahren erleben, beginnt mit Familiengründung, Berufsalltag oder einfach dem Älterwerden für einige Menschen eine Phase mit spezifischen Bedürfnissen und weniger Zeit für politisches Engagement. Unreflektierte Charaktereigenschaften und Verhaltensweisen können in diesem Zusammenhang durchaus zu einem problematischen Zusammenleben führen. Sich die eigene politische Entwicklung einzugestehen fällt da oft schwer. Das Festhalten an Altgewohntem oder konstruiertem Früher funktioniert dann vielleicht in der Zweizimmerwohnung oder dem Beziehungskonstrukt, gibt wenig Aushandlungsspielraum für kollektives Wohnen mit politischem Anspruch. Die eigene Reflektionsunfähigkeit oder nicht vorhandene Offenheit lassen Eigen- und Fremdwahrnehmung auseinandergehen. Menschen imaginieren sich selbst als Teil eines radikal politischen Gruppenzusammenhang, sind allerdings seit Langem weder engagiert noch Teil einer Szene. In offenen Räumen oder Orten, an denen Menschen politisch aktiv sind, ist es möglich sich politisch zu aktualisieren. Junge und Alte oder Neue können voneinander lernen. Wer sich nur im eigenen Konstrukt bewegt und Veränderung abwehrt, merkt nicht, dass aktuelle Diskurse weit weg sind. Dann ist es auch nur eine Konsequenz, dass am Ende keine politischen Ideale sondern Eigentum verteidigt wird.
Wie bereits in Marek Winters Artikel angeführt, gibt es einen großen Teil kollektiver Wohnformen nicht unbedingt auf Grund gesellschaftlicher Kritik, sondern wegen des Wunsches nach finanzierbarem eigenem Komfort, der den Wunsch nach Leben in Gemeinschaft nicht ausschließt. Moderne Lebensentwürfe sind heutzutage vielfältig.
In beiden Fällen bedeutet dies am Ende nicht mehr als ein Mietverhältnis in weniger konservativer Form oder eben Eigentum. In den Großprojekten des Mietshäusersyndikats trat dieses Problem mit der Gründung dieser auf. Bei 80 Menschen, die sich für eine vermeintlich alternative Wohnform entscheiden, aber wenig Gemeinsamkeiten in Alltag und oder politischer Perspektive aufweisen, gibt es eben auch keinen Wunsch nach radikaler Gesellschaftsveränderung, sondern nur den nach bezahlbarem Wohnraum.
Dabei sollten soziale Netze und Beziehungen das sein, was uns Sicherheit geben sollte und nicht die Gewissheit in den nächsten 10 Jahren noch die Einbauküche zu haben.
Privileg und Verantwortung
Warum also das Ganze? Warum das ganze Aushandeln und Kooperieren?
Ein Hausprojekt sollte ein kollektives Gut sein, das Teil einer politischen Szene ist, auf das ich persönlich keinen Anspruch habe. Es ist ein Ort für Kreativität, Teilhabe, Politik, Organisierung, Diversität, internationaler Solidarität, Austausch und gemeinsames Lernen. Die Zapatistas haben gesagt, das Zentrum politischer Aktivität sei die Kommune. Sehen wir also das Haus mit seiner Gemeinschaft und dem Netzwerk darum als die Kommune.
Angesichts der aktuellen politischen Situation und der voranschreitenden Faschisierung brauchen wir selbstbestimmte, finanziell unabhängige Räume mehr denn je. Es ist ein Privileg und eine Verantwortung in solchen Räumen zu leben und sich organisieren zu können. Das Privileg genau dieses Labor an Möglichkeiten und Raum dafür zu haben. Die Verantwortung dafür, dass diese Räume erkämpft wurden und keine Selbstverständlichkeit sind. Wir müssen sie erhalten und verteidigen gegen autoritäre und konservative Übernahmen.
